Seit kurzem gibt es in unserer Klinik ein neues Schlüßelsystem. Nicht mehr mit einem mechanischen Schlüssel aus Metal, sondern mit kleinen Transponderchipkarten.
Der Vorteil eines solchen elektronischen Systems ist klar: Wenn jemand seine Schlüßelkarte verliert, kann man die Kartennummer einfach aus dem Register löschen und muss nicht alle Schlösser austauschen.
Allerdings hat so ein Schließsystem auch einen großen Nachteil, sobald eine Elektronik ins Spiel kommt. Die Schließanlage registriert sehr genau, welcher Mitarbeiter wann sein Büro, sein Dienstzimmer oder sein Labor betreten oder verlassen hat. Offiziell ist es zwar verboten aus solchen Daten Leistungsvergleiche zwischen den Mitarbeitern anzustellen. Aber eine alte Regel, die seit dem NSA-Skandal wieder im Bewusstsein ist, sagt: Was möglich ist, wird gemacht.
Nun sehe ich so einem Vergleich, wenn er denn stattfindet, recht gelassen entgegen. Doch die Technologie, mitder das alles möglich gemacht wird, die RFID, ist unaufhaltsam auf dem Vormarsch.
RFID ist in meinen Augen für uns das, was das „Feuerwasser“ für die Ureinwohner Amerikas war, als die Europäer kamen. RFID steht für Radiofrequencyidentification. Es ist eigentlich recht einfach. Man versieht einen beliebigen Gegenstand mit einem Transponder, der auf Funkanfrage durch einen Sensor, eine beliebige Information an den Sensor sendet.
Solche Tansponderchips befinden sich bereits in unseren Personalausweisen, in unseren Krankenkassenkarten und Verschwörungstheoretiker gehen davon aus, dass es eine kleine Gruppe von Hochfinanzmogulen gibt, die daran abreitet auch den Geldverkehr komplett über die RFID-Technologie laufen zu lassen.
Science-Fiction-Freunde haben sicher kein Problem damit sich vorzustellen, dass man in Zukunft jedem Menschen seinen persönlichen RFID-Transponder implantiert. Zum Beispiel unter der Haut des Handtellers. Wann immer diese Person etwas bezahlen möchte, zieht sie einfach die Hand mit dem Transponder über das Sensorfeld im Supermarkt, die Identifikationsnummer zeigt dem dann der Kasse von welchem Konto sie die Rechnung abbuchen soll.
Man braucht keine Sorge zu haben, dass man seinen Ausweis, Führerschein oder seine Geldbörse mal zu Hause liegen lässt, denn alles was man braucht ist seinen persönlichen RFID-Chip und der steckt sicher unter der Haut. Schöne neue Welt!
Wer jetzt meint, dass kein vernünftiger Mensch so was jemals mitmachen würde, der täuscht sich. In Rotterdam gibt es bereits eine Disco, die ihren Kunden die Implantation eines solchen RFID-Chips anbietet und sie im Gegenzug zu VIP-Gästen macht.
Die Möglichkeiten die sich für die Werbeindustrie mit der RFID-Technik ergeben sind enorm. Sobald man den Käufer eines Produktes zweifelsfrei identifizieren kann, ist es ein Leichtes ihn mit „maßgeschneiderter“ Werbung zu bombardieren. Schon jetzt funktioniert das ziemlich gut. Wenn ich mir zum Beispiel Kinderfahrräder im Internet ansehe und mich über meine IP-Adresse einwandfrei identifiziere, vielleicht sogar meine eMailadresse angegeben habe, um einen Rabat zu erhalten, kann ich sicher sein, dass die Banner und Popups der nächsten zwei Jahre die Werbung für Kinderschienbeinschoner, Kinderfahradhelme und Zusatzversicherungen für Kinderunfälle enthalten.
Durch die inzwischen weit entwickelte elektronische Datenerfassung- und -verarbeitung ist es möglich, durch einen immer besseren Algorithmus, ohne dass die Beteroffenen es überhaupt mitbekommen, Informationen über sie zu gewinnen, einschließlich hoch brisanter Informationen, wie Krankenakten, Strafregisterinformationen oder ähnlichem.
Und je mehr unsere Welt WLAN-vernetzt wird um so öffentlicher sind diese Daten. Arbeitgeber kontrollieren heute standartisiert Facebook-Accounts von neuen Bewerbern, wo viele Menschen freiwillig und ohne Not, teilweise sehr sensible Informationen über sich preis geben. Krankenkassenkarten sollen immer mehr Informationen über die Patienten beinhalten, wer immer ein Auslesegerät hat wird dann meine Blutwerte in Erfahrung bringen können, man muss nur meine Chipkarte bekommen. Sollte das alles demnächst wirklich auf einem Transponder gespeichert werden, muss man nur auf etwa einen Meter an mich heran kommen.
Wenn ich nichts habe, ist das nicht schlimm, aber was wenn ich ein HIV-Infektion habe? Selbst wenn es noch kein AIDS ist, einen neuen Job könnte ich vergessen. Wenn ich als Frau einen Kinderwunsch habe und schon mal nach Kinderbetten im Internet geschaut habe wird mich auch kein Arbeitgeber einstellen. Wer will schon nach sechs Monaten den Mutterschutz bezahlen? Was wenn ein Mann, wirklich zu unrecht von einer enttäuschten Verehrerin einer sexuellen Übergrifflichkeit beschuldigt wurde und die Klage „nur“ aus Mangel an Beweisen fallen gelassen wurde? Alles steht irgendwo gespeichert und die Entwicklung geht dahin, dass wir all diese Daten direkt bei uns tragen und nicht mal mehr selber entscheiden können, wem wir diese Daten zeigen wollen. Denn wir erinnern uns „Was möglich ist, wird gemacht.“
Wenn ich mir diese Entwicklung vergegenwärtige, dann überkommt mich nicht selten ein fast panikartiges Angstgefühl. Wird es bald so sein, dass Arbeitsmediziner einen Gentest von mir verlangen können um herauszufinden wie hoch mein Risiko ist vor dem Rentenalter einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen? Werden diese Daten auf einem RFID-Chip unter meiner Haut gespeichert sein? Werden Männer für die ich mich interessiere diese Daten einsehen können? Wird man meinen Sohn vielleicht einfach aus der Gesellschaft ausschließen können, wenn er vielleicht unerwünschte politische Meinungen vertreten wird, einfach indem man seine RFID-Nummer aus dem Zentralregister löscht?
Wird man in Zukunft genau wissen mit welcher Straßenbahn ich nach Hause fahre, weil ein Scanner an der Bahnstation meinen Chip registriert? Wird mein nachbar auslesen können welche Unterwäsche ich trage, weil am Etikett ein RFID-Chip eingenäht ist? Wird ein Computer bald entscheiden, welche Konsumgüter mir überhaupt angeboten werden, weil er aus meinem bisherigen Kaufverhalten und meinem Kontostand errechnet für welche Produkte ich mich wahrscheinlich entscheiden würde? Werde ich die Angebote für die ich mich wahrscheinlich sowieso nicht entscheiden würde überhaupt noch zu Gesicht bekommen? Wird mein Arbeitgeber bevor er mich einstellt erfahren welche Seiten ich oft im Internet besuche?
Momentan sind wir in „der westlichen“ Welt dabei die Freiheiten und Bürgerrechte die in vielen Ländern mit viel Blut erkauft worden sind, für eine handvoll Rabattmarken und die Illusion von Sicherheit zu verschleudern.
Vielfach wird einem die elektronische Kontrolle als fortschritt verkauft: Jeder kann mit jedem kommunizieren und man findet seine Klassenkameraden mit einem Mausklick wieder, man kann Partysorganisiseren, Fotos, Musik und Videos austauschen, ist Facebook nicht ein Segen? Unsere neue Schließanlage ist ein Fortschritt, oder nicht?
Als die Europäer Amerika kolonialisierten, kauften sie sich die Gunst der Ureinwohner mit Glasperlen und Schnaps. Wir lassen uns über unsere Sehnsucht nach Gesellschaft, Austausch und Freundschaft kaufen, sowie mit der Lüge, dass wir Teil eines Fortschrittsprozesses wären.
Aber wer von uns ist von einem Kaffee den jemand am Morgen in den Chatroom gestellt hat schon wirklich wach geworden? Alle die sich nicht für virtuelle Gefühle kaufen lassen und bereitwillig eMailadresse, Wohnsitz oder Kreditkartennummer hergeben, die werden über ihre Angst verführt.
Spätestens seit dem 11. September glauben wir, mit mehr Kontrolle, den Terrorismus bekämpfen zu können. Aber auch Kinderpronographen und Pädophile könnten wir dank des Internets villeicht identifizieren lange bevor sie einem Kind wirklich etwas tun, wir müssen nur wissen wer welche Suchbergiffe bei Google eingibt und wer welche Seiten besucht. Verbrechen verhindern bevor sie passieren“ lautet die Doktrin. Doch welche Freiheit, welches Leben verteidigen wir den gegen den Terrorismus wenn wir genau diese Freiheit hergeben müssen um unseren Feind zu besiegen? Das Internet das nahezu überall drahtlos verfügbar ist und die RFID-Technik sind der Dolch und die Axt mit denen wir jegliche individuelle Freiheit und letztlich jede Individualität, auf dem Altar des Ökonomisierung und es Kapitalismus opfern.
Ich wünsche mir für meinen Sohn eine Welt in der er selbst entscheiden kann. In der er nicht gezwungen ist stets und ständig eine Norm zu erfüllen um noch an der Gesellschaft teilhaben zu dürfen. Ich wünsche mir eine Gesellschaft in der er die Freiheit hat übergewichtig zu sein, oder er bei seinem Weg zur Arbeit mal einen Umweg machen darf, weil es ihm gefällt am Morgen über den leeren Marktplatz zu gehen, ohne dass dieser Umweg registriert wird und er plötzlich keinen Versicherungsschutz mehr hat, weil der Umweg ja sein Privatvergnügen war.
Ich möchte für ihn eine Welt in der er auch dazu gehören kann wenn er nicht so groß ist wie andere, vielleicht nicht so schnell denken kann oder nicht so geschickt ist. Einer der ältesten Grundsätze der Medizin besagt, dass man den Menschen akzeptieren muss wie er ist. Auch mit seinen Makeln, Schwächen, Lastern und Eigenheiten. Doch unsere Gesellschaft arbeitet unerbittlich darauf hin, jede Abweichung von der Norm offensichtlich zu machen.
Doch es fällt mir kein Mittel ein mit dem sich dieser immer weiter um sich greifenden Registrierungs- und Kontrollwahn aufhalten lässt. Denn wer nicht auf diesen Zug aufspringt wird früher oder später einfach außerhalb der Gesellschaft verrotten. Wenigstens RFID-Chips bekommt man durch Mikrowellen unbrauchbar gemacht und Daten die ich nicht ins Internet einbringe können auch nicht von jemand anderem ausgelesen werden. Mehr Schutzmöglichkeiten fallen mir nicht ein.
Pizzabestellung der Zukunft
In diesem Sinne
Eure
Cori
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