Samstag, 7. Februar 2015

Die Blume im Stein

Es war einer der vielen alltäglichen Abende im Lager der Pyrana-Jägerinnen. Das Lager bestand aus leichten Strohhütten und einigen, zu einer Palisade zusammen gebundenen Stämmen die wilde Tiere abhalten sollten, im Notfall aber auch ein wenig Schutz vor menschlichen Angreifern bot. Insgesamt war das Lager aus leicht zu beschaffenden Materialien des Waldes gebaut so dass man es ohne größeren Verlust aufgeben und an anderer Stelle erneut wieder errichten konnte.

So ein Lagerwechsel kam leider häufiger vor als es den Bewohnerinnen dieses Waldgebietes lieb sein konnte. Immer häufiger wurde ihr Lagerplatz, eher zufällig von verirrten Reisenden entdeckt. Ein Grund für Loo, die Zweite des Stammes, einer attraktiven, erstaulich jungen Frau, ihre Kameradinnen die sie selbst „ihre Schwestern“ nannte zu Wachen einzuteilen um das Umfeld des Lagers zu beobachten und jedem Eindringling sofort nach zu setzen. Niemand durfte den Standort des Lagers aus diesem Wald heraus tragen. Ihre Verborgenheit und ihre Verschwiegenheit waren die stärksten Waffen der Frauen. Fast jede von ihnen wurde in einer oder mehreren Städten mit einem Haftbefehl gesucht. In den Städten nannte man sie Gesetzlose, legte ihnen Verbrechen zur Last die sie wissentlich, unwissentlich oder auch gar nicht begangen hatten und drohte ihnen mit Züchtigung, Sklaverei und gelegentlich auch mit dem Tode. Doch hier im Wald waren sie frei. Hier machten die sie die Gesetze. Doch alles funktionierte nur zu einem gewissen Grad. Wenn sie den Reisenden zu viele Schererein bereiteten würden die Städte und Handelshäuser Krieger udn gedungene Söldner schicken um diese Reisdenen zu schützen. Daher war es besser den Städtern so weit es ging aus dem Wege zu gehen.


Doch der Luxus dieser Freiheit wollte gut bewacht werden. An diesem Tag waren Lara und Cori zur Wache eingeteilt. Die beiden Frauen standen oder saßen abwechselnd auf dem Palisadenzaun oder dem Dach einer der Strohhütten und beobachteten das vorgelagerte Gebiet. Wie immer wenn sich Routine in den Alltag einschlich wurden selbst die diszipliniertesten Jägerinnen nachlässig und so sprachen sie von Zeit zu Zeit über dieses und jenes, tranken von ihren Wasserschläuchen und versuchten sich nicht vom gleichmäßigen Rauschen der Blätter, dem plätschern des nahegelegenen Baches oder der der Wärme der Nachmittagssonne ermüden zu lassen.

Schließlich ließ sich Cori, die Anführerin der Bande, die sich selbst gern als Stamm bezeichnete, auf einen der wackeligen Stühle sinken die vor Jahren von einem fahrenden Schreiner erbeutet worden, und um ein leeres Kalana-Fass gruppiert worden waren. 


Sie holte einer schematische Landkarte hervor die mit Naturfarben auf eine alte rissige Tabukhaut gemalt war. Da dem Zeichner offenbar kein Blau zur Verfügung gestanden hatte waren die Flüsse in einem Rotbraun gehalten, Bärge und in einem schmutzigen Gelb und Wälder in einem seichten Grün. Straßen und Städte waren mit schwarzer Kohle verzeichnet.
Die Anführerin der Pyrana, die außerhalb des Lagers oft nur als „die Krähe“ bekannt war, beugte ihren Kopf mit den knabenhaft kurzgeschnittenen Haaren darüber und betrachtete die Karte stirnrunzelnd.

Lara hatte sich gelegentlich gefragt warum die En die eigentlich nicht hässlich war, so wenig aus sich machte. Doch dann war ihr aufgefallen dass die meisten Frauen im Lager, jede für sich, auf eine besondere Weise mit ihrer äußeren Weiblichkeit umgingen. Während einige besonders viel wert drauf legten selbst nach dem längsten Regenguss noch schnell ihre Lippen oder Wangen mit etwas Henna zu röten, so zeigten andere fast in einer art privater Rebellion ihren nackten Oberkörper um es so der Männerwelt, von welcher sie alle in gewisser Weise verstoßen waren, gleich zu tun.

Cori aber achtete genau darauf ihr Haar ständig kurz zu tragen, wie die Rekruten in der Kriegerschule und ihre Arme und Beine bedeckte sie stets mit langen Fellstulpen. Wohl gleich sie über kein besonders gewaltiges Dekollete verfügte band sie stets ein Tuch so um ihre Brust, das ihre Rundungen möglichst flach an den Körper gedrückt wurden. Manchmal, wenn man die Anführerin der Pyrana im Gegenlicht oder im Dickicht des Waldes sah, konnte man meinen nicht einer ausgewachsenen Frau, sondern einem Jüngling gegenüber zu stehen.
Lara wusste nicht, was für ein Verhältnis Cori zu ihrem Körper hatte, aber ganz sicher war, dass die En erst begonnen hatte ihre Weiblichkeit zu verstecken, nachdem sie einmal einem Nordmann in die Hände gefallen war.

Cori bemerkte Laras Blick und Lara schaute schnell  auf die Karte: „Also ich kann kann da nichts erkennen. Was willst Du denn auf dieser Karte sehen?“ Lara tat so als habe sie sich nur für die Karte interessiert. „Nun ich überlege wo man nach etwas bestimmtem suchen könnte“, gab die En zurück.
„Was denn?“ fragte Lara.
„Nach so etwas“, antwortete Cori, kramte in ihrem Beutel und holte ein zusammen gefaltetes Tuch hervor dessen Ecken ordentlich übereinander geschlagen waren. Vorsichtig schlug sie die Ecken zurück. In dem Tuch eingeschlagen lag ein flaches Stück Stein. Wenn man genauer hinsah, konnte man erkennen, dass in dem Stein eine fossile Pflanze zu erkennen war. Man konnte deutlich einen Teil der Blüte und ein Blatt ausmachen. „Hast Du so was schon mal gesehen? Schon klar, das ist ne versteinerte Blume. Aber mal ehrlich. Schau Dir die Zeichnung von den Blattstreben an. Ich habe so etwas nie zuvor gesehen, es sieht aus als wäre das Blatt aus lauter sechseckigen Waben zusammengesetzt.“

Lara schüttelte den Kopf: „Nein. Was ist das für eine Pflanze?“
„Und hat sie irgendeine Bedeutung für uns?“ fragte Loo die leise und mit der jungen Moira auf die Palisade gekommen war um die Wache zu übernehmen.
Die Pyrana begutachten die Blume im Stein
„Genau das ist die Frage“, stellte Cori fest. „Mein Wissen um die Geheimnisse der Heilkräuter ist schon ziemlich eingerostet. Aber ich habe in den Aufzeichnungen von Esem keine Abbildung gefunden die dieser Pflanze gleicht“. Cori wusste das die Erwähnung von Esems Namen ihre Se stets traurig stimmte. Esem war einmal die Schamanin der Gruppe gewesen. Loo und Esem waren eng befreundet gewesen bis Esem, lange bevor Cori zu den Pyrana gestoßen war, in einem Duell auf Leben und Tod mit einer stolzen und wilden Jägerinn der Arquana ums Leben gekommen war. 

Gelegentlich hielt sich das Gerücht, dass die Arquana-Jägerin Esem besiegt habe. Doch die Mehrheit der Arquana behauptete, dass Esems Stolz sich mit der Niederlage nicht habe abfinden können und sie sich darum umgebracht habe. Von den Pyrana gab es keine Zeugen und so rankten sich um das Leben und vor allem den Tod von Esem viele Gerüchte die noch dadurch angefacht wurden, dass der Leichnam von Esem nie gefunden wurde. Es hieß, dass eine befreundete Schmanin ihn gefunden und aufgebahrt habe und dass er plötzlich verschwunden gewesen sei. Manchmal fragte sich Cori ob Loo im tifesten Inneren ihres Herzens manchmal hoffte, dass Esem vielleicht nicht tot war und eines Tages wieder vor dem Lager stehen würde. Fest stand aber, dass sowohl die Pyrana, als auch die Arquana viel unter den Folgen dieses Duells zu leiden gehabt hatten. Erst jetzt von eine Jägerin namens Aya die Führung der entfernt lebenden Arquana übernommen hatte, schienen sich die beiden Gruppen langsam wieder anzunähern.

"Und willst Du diese Pflanze suchen und finden?", riss Lara Cori aus ihren Gedanken.
"Na, zumindest würde ich gerne herausfinden woher diese Pflanze kommt und welche Eigenschaften sie hat. Die Priesterkönige haben doch nichts einfach so in die Welt gebracht." antwortete Cori.
"Stimmt, Jedes hat sein Sinn", gab Lara zu.
"Aber heute ist es schon zu spät um mit der Suche zu beginnen, schaltete Loo sich in das Gespräch ein. Loo war auf ihre Art vielleicht die schönste Frau in der Gruppe, wobei sie eine sehr exotsiche Schönheit besaß mit einer Haut, die das sanfte Braun von schwarzem Wein hatte, den man halb und halb mit Verr-Milch mischte und ihr Haupt wurde von Blonden wuscheligen Haaren umspielt die aussahen wir die Gischt auf den Wellen der Thassa an einem besonders stürmischen Tag.

"Ja das ist es, und wir werden sie sicher auch hier nicht finden.", stimmte Cori Loo zu, "Ich habe diese Steinblume von einem Händler gekauft. Der sagte dass er diesen Stein im Norden gefunden habe."
"Hm, und wenn wir ne Heilerin fragen?", schlug Moira vor, "ich kenne eine."
Cori verzog den Mund: "Ich denke, dass wir bei einer Schamanin mehr Glück haben werden. Schamninnen kennen sich mehr mit den Heilkräften der Natur aus. Heilerinnen wissen besser Bescheid wenn es um das geheime, zweite und dritte Wissen geht."
Loo nahm den Faden auf: "Ich weis nur das die Arquna eine Schamanin haben und die Ki'Kara."
Cori nickte: "Und wer hat zur Zeit die weisteste Heilerin?"

"Was ist mit Creide, die ist doch auch Schamanin?" gab Moira zu bedenken.

Creide. Das war so eine Sache bei den Pyrana. Die Frau die unter dem Namen Creide in dieser Region des südlichen Urwaldes bekannt war die Schamanin der Ja-hesa Seraka, doch sie war von den Tri’Shena zu den Seraka gekommen. Die Tri’Shena hatten sich allerdings selbst erst im Unfrieden von den Ja-Hesa Seraka abgespalten und während die Seraka ein Waldgebiet südwestlich des Pyrana-Reviers bejagten, hatten die Tri’Shena sich östlich davon niedergelassen was zu reichlichen Konflikten zwischen den Tri’Shena und den Pyrana geführt hatte bis hin zu mehreren Kämpfen in denen man nicht gerade zimperlich miteinander umgegangen war. Wer konnte schon so genau sagen wie weit diese Feindschaft noch in den Köpfen und Herzen der Jägerinnen beider Gruppen kochte?
  
Die Krähe überlegte und strich sich mit der Hand durch das kurze schwarze Haar. Die spirituelle Anführerin der Pyrana, Nara, war seit mehreren Hand zu einer sogenannten Suche aufgebrochen. Schamaninnen unternahmen solche Reisen gelegentlich um sich seelisch zu reinigen, neue Erkenntnisse zu gewinnen oder, wie Cori vermutete, einfach nur wenn sie die kleinen Sorgen und Probleme der anderen Gruppenmitglieder Leid waren. Obwohl sie alle laut Gesetz gesuchte Verbrecherinnen waren, war es doch erstaunlich wie viele doch das Gespräch mit der Schamanin suchten um sich den einen oder anderen Ballast von der Seele zu reden, oder auch nur um einmal über die eigenen Ängste zu sprechen oder auch über die eigenen geheimen Sehnsüchte und Wünsche.

Die Jägerinnen hatten sich einen rauen und herablassenden Umgangston angewöhnt. Wie in manchen Kriegergruppen, galt es als ein Zeichen von Schwäche sich über die harten Lebensbedingungen im Lager zu beklagen. Nur wer es verstand unter den widrigsten und schwierigsten Bedingungen zu überleben war es wert in den Kreis der Pyrana aufgenommen zu werden. Es gab keine Beschwerden darüber dass die meisten Strohhütten bereits nach zehn Ehn durchgeregnet waren, dass das Regenwasser nach einem Starkregen den gesamten Lagerplatz in eine einzige Matschwüste verwandelte, in der man vielfach barfuß umher stapfte, auch wenn es nachts kalt wurde und in der man sitzen und zerkochtes Tabukfleisch essen musste, aus dem man kurz zuvor noch die Maden heraus gepolkt hatte. Und man musste auch in diesem Schlamm schlafen.

Dazu schüttete man sich am Abend einen kleinen Hügel auf, den man mit Gras oder Blättern belegte und darauf dann seinen Fell- oder Strohsack ausbreitete. Doch in der Nacht gab das diese Lagerkonstruktion in aller Regel nach und man erwachte wenn die Feuchtigkeit durch den Schlafsack ins innere drang. Niemand beschwerte sich darüber und es sprach auch niemand über die Angst von einem Sleen oder einer Ost gebissen zu werden oder auf einer Lichtung von einem wilden Tarn erspäht und zerrissen zu werden. All diese Gefahren und Unannehmlichkeiten waren real den Lagern der Jägerinnen. So wie der Durst im Sommer und der Hunger im Winter. Man sprach darüber nicht. Man fand sich damit ab. Nur manchmal, da redete man eben mit der Schamanin darüber und träumte für einen Moment davon wieder in einer Stadt zu wohnen, geachtet und angesehen zu sein, in einem richtigen Bett zu schlafen und manche der Frauen träumten sogar davon einen Gefährten zu haben. Aber darüber sprach man nur mit der Schamanin. Doch die Schamanin der Pyrana war schon seit langer Zeit nicht mehr im Lager gesehen worden.

„Also dann machen wir es so“, entschied Cori, „erst gehen wir gemeinsam zu unseren Nachbarn, den Seraka. Dort hören wir ob Creide uns helfen kann. Aber wir sollten ihr nicht bedingungslos vertrauen. Daher werden wir hinterher Jägerinnen zu allen Stämmen im Umfeld schicken und ihre Schamaninnen zu uns einladen damit sie die Blume in dem Stein ansehen und ihre Meinung dazu sagen können. Außerdem werden wir eine Schwester in die Stadt schicken.“
Ihr Blick suchte Nara: „Die Oase der vier Palmen ist einige Tage von hier entfernt, doch es soll dort eine gewaltige Sammlung von Schriften und Bildern geben. Vielleicht kennt man diese Pflanze ja. Das ist doch eine gute Aufgabe für Dich, Lara“
„Was wollen wir denn eigentlich mit dieser Pflanze?“ fragte Lara
„Das weiß ich nicht,“ gab Cori zurück. „Aber nehmen wir mal an, die Pflanze ist im Süden nicht beheimatet, dann kann man sie hier teuer verkaufen. Wenn sie außerdem noch eine giftige Wirkung hat, oder Heilkräfte besitzt, dann wäre es doch lohnend wenn wir die einzigen im südlichen Dschungel sind die über diese Pflanze verfügen.“

Die Richtigkeit dieses Argumentes konnte man kaum leugnen. Doch ob der Aufwand einer Suche und vielleicht einer Expedition durch den Lohn gerecht fertigt werden würde, war mehr als fraglich. Allerdings war Cori bekannt dafür solchen Hirngespinsten nach zu jagen und berühmt dafür, weil sie schon mehr als einmal erfolgreich mit solchen Kreuzzügen gewesen war.

Eine neue große Reise stand den Pyrana also bevor. Die erste Station würde das Lager der Seraka sein nur wenige Passang von dem der Pyrana entfernt, doch wohin es dann gehen würde, das stand in den Sternen und niemand in der Runde bezweifelte dass Cori keine Ruhe geben würde bevor man diese Pflanze, ob wertvoll oder nicht in den Händen halten würde.

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