Lara trug den Stein in
einem Gürtel an ihrem Beutel. Seit vier Tagen wanderten die sechs
Pyrana-Jägerinnen durch den Wald. Lange schon hatten sie das Revier ihrer
Gruppe verlassen und befanden sich nun im Niemandsland. Vielleicht waren sie
auch schon in das Territorium der Schwestern der Blutklingen wie die Seraka
auch genannt wurden eingetreten.
An der Grenze des
Pyranagebietes hatte Cori Lara den Stein gegeben. Fast jede Jägerin in den
Südlichen Wäldern kannte Cori, wenn sie sie sich aus ihrem Camp bewegte und
sogar ihr Gebiet verließ, dann musste es dafür einen Grund geben, das konnte
sich jeder denken der die Anführerin der Pyrana irgendwo entdeckte.
So etwas forderte
natürlich auch immer wieder Glücksritter, Söldner und andere Widersacher
heraus, die versuchen wollten sich der En zu bemächtigen. Viele Stadtregenten
und Krieger hätten ihren Namen gern damit geschmückt die berüchtigte Krähe zur
Strecke gebracht zu haben. Daher war Cori im Falle eines Angriffes häufig
diejenige auf die sich die Attacken der Feinde konzentrierten. Die Chance das
Lara im Falle eines Angriffes die Flucht gelingen würde war ungleich höher als
bei Cori daher hatte die En, der stillen aber doch resoluten Lara den Stein
anvertraut.
Außer Lara und Cori,
hatten sich Loo, Moira und die ehemalige Piratin Okami der Expedition zu den
Seraka angeschlossen. So war man eine schlagkräftige Truppe falls die Seraka es
vorziehen würden manche Dinge zuerst mit dem Speer oder dem Bogen zu
besprechen.
Das Problem bei
solchen Besuchen bestand darin, dass die Lager der gesetzlosen
Waldbewohnerinnen nicht an festen Orten standen. Nicht umsonst waren diese
Lager so einfach gebaut, dass man sie in kurzer Zeit aufgeben und an anderer
Stelle neu errichten konnte. Lediglich den Tanzplatz über den fast jede Gruppe
verfügte behielten die meisten Gruppen unbeirrt bei und schützten ihn mit
besonderer Sorgfalt. Man wusste also meist nur ein grobes Gebiet in dem man
nach einer Gruppe suchen musste, war dann aber darauf angewiesen die meist
versteckten Zeichen an Baumstämmen, Ästen oder Steinen zu entdecken um das
Lager zu finden. Dabei musste man aber hoffen nicht aus Versehen über den
Tanzplatz zu stolpern, denn bei der Entdeckung dieses, als Heiligtum verehrten
Ortes kannten die meisten Jägerinnen kein Pardon.
Loo, die auf der Reise
einem Wildbienenstock zu nahe gekommen war und nun durch zahlreiche
Insektenstiche verunstaltet war, war von Cori als Vorhut auserkoren worden. Zum
Glück hatte das Missgeschick mit den Wespen schon vor zwei Tagen statt gefunden
und So waren lediglich einige kleine rote Flecken verblieben und die
Schwellungen inzwischen zurück gegangen.
Cori konnte nich mehr
sagen wer es gewesen war, aber irgendeine ihrer Begeleiterinnen hatte vor
Stunden, nachdem man eine morsche Hängebrücke überqueert hatte, einige junge
Turbaum-Sprößlinge entdeckt die in einer so sonderbaren Formation standen, das
man darin das versteckte Zeichen vermutete das zum Lager der Ja'hesa Seraka
führte. Aus diesem Grund folgte die Gruppe Loo seit einer halben Ahn durch eine
enges und flaches Tal, das fast wie ein Graben geartet war.
Plötzlich blieb Loo
stehen nahm ihren Bogen vom Rücken.
Die anderen Pyrana
waren auch stehen geblieben, wie durch ein geheimes Signal hin waren alle bis
aufs Äußerste alarmiert. Ohne ein einziges Geräusch zogen die Jägerinnen ihre
Waffen aus den Halterungen an ihren Gürteln oder auf ihren Rücken. Loo deutete
mit der Hand nach vorn und ihre Kameradinnen spähten durch die Blätter und
Zweige auf eine Lichtung. Wo einige Baumstämme und Decken zu sehen waren,
außerdem konnte man Hütten erkennen.
Die Hütten sahen auf
den ersten Blick denen im Lager der Pyrana ähnlich, doch bei genauerer
Betrachtung konnte man feststellen, dass ein völlig anderer Baumeister am Werk
gewesen war. So waren die Grundbefestigungen der Hütten mit Natursteinen
verstärkt. Neidvoll blickten die Jägerinnen auf die Hütten sicher boten diesen
Hütten einen deutlich besseren Schutz gegen die Wetterumschwünge in dieser
Klimazone als die Behausungen der Pyrana. Allerdings waren diese Hütten
deutlich schwerer an anderer Stelle nach zu bauen, daher konnte man davon
ausgehen dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit das Lager der Seraka gefunden
hatte.
Lautlos bewegten sich
die Pyrana auf den Lagerplatz. Mit gespannten Bögen und wurfbereit erhobenen
Speeren blickten sie sich um. Weit und breit war keine Jägerin der Seraka zu
entdecken.
Die Tatsache das
niemand zu sehen war konnte bedeuten, dass man entweder doch nur einen kürzlich
aufgegebenen Lagerlatz gefunden hatte, oder, und das war viel wahrscheinlicher,
bereits von vielen Augenpaaren aus dem umliegenden Dickicht beobachtet wurde.
In diesem Fall war das anstrengende herumschleichen völlig sinnlos, ja sogar
fast lächerlich. Während Lara sich neugierig umsah überlegte Cori wie die
Seraka auf die Idee kamen so ungeschützt zu leben. Kein Zaun, kein Graben und
keine Hecken versperrten Eindringlingen den Weg. Wer die Seraka fand, dem waren
sie scheinbar schutzlos ausgeliefert. Was wenn genau das passiert war? Was wenn
die Nachbarn der Pyrana einfach das Ofer eines streunenden Sklavenjägers und
seiner Truppe geworden waren?
Moira, die jüngste in
der Gruppe fasste sich ein Herz und rief unerwartet nach der ihr bekannten
Schamanin: „Creide!?“
Lara machte sich
pragmatisch daran in jeden Winkel des Lagers zu schauen und jedes Fell hoch zu
heben. „Scheint niemand da zu sein“, konstatierte sie.
„Ich denke sie haben
in der Nähe noch ein Versteck in den Felsen dort drüben.“ Sagte Loo und deutet
auf einen mit Sträuchern völlig überwucherten, felsige Hügel.
„Creide?!“ rieg Moira
erneut.
Cori war müde und
befestigte ihren Speer wieder auf ihrem Rücken. Dann setzte sie sich an die
erkaltete Feuerstelle und nestelte an ihrem Gürtel herum bis sie einen kleinen
ledernen Trinkschlauch in der Hand hielt.
Die anderen Pyrana
folgten dem Beispiel ihrer En doch wie sie gerade alle an der Feuerstelle
zusammen kamen und ihre Waffen wieder verstaut hatten, da stand plötzlich einen
rothaarige Frau am Feuer. Der Kleidung nach sicher ebenfalls eine Jägerin. Sie
war in braune fransige Leder und Fellstücke gekleidet, an den Armen trug sie
lederne Unterarmschienen die sicher einmal einem Krieger gehört hatten und auf
dem Kopf trug sie eine Kappe aus Wolle.
„Was ist das hier für
ein Lärm!“ wollte die neu hinzugekommene wissen. Ihre Stimme war klar und fest
und ließ keine Emotionen erkennen. Die sehr emotionale Moira machte einen Satz
nach vorn: „Tal Creide!“
Auch Cori erhob sich
von ihrem Platz und hob ihre geöffneten Handflächen um sich dann mit der Faust
leicht gegen die Brust zu schlagen: „Tal, Creide, berühmte und weise Schamanin
der Ja’hesa me Seraka.“
Creide nahm die
Begrüßung, welche für Coris Verhältnisse ausgesprochen respektvoll war mit
einem leichten Lächeln und einem angedeuteten Verbeugung an. „Da ist man einmal
in der Höhle um aufzuräumen und dann kriegt man gleich Besuch…“, sagte die
Schamanin mit einem spöttischen Lächeln, während sie selbst an der Feuerstelle
Platz nahm.
Auch die anderen
Pyrana begrüßten die Seraka-Schamanin und setzten sich dann um den Herdkreis.
Cori nahm den Beutel auf den sie zuvor von ihrem Gürtel genommen hatte und
reichte ihn herum.
„Was ist das?“ fragte
Moira.
„Ein Kräuter-Paga. Die
Wagenvölker aus den turianischen Steppen sollen ihn aus Tosplitkernen brennen“,
antwortete die Krähe.
„Ah,“ sagte Moira und
probierte zaghaft einen Schluck. Schmeckte vorsichtig und nickte da. "Sag
mal Creide, wo sind denn alle deine Schwestern?"
"Unsere Älteste,
Dahna ist auf einem Stammestreffen, Nadin sucht nach irgendwelchen alten
Schriften, aber ihr seid doch sicher nicht hier um rauszufinden wo welche
meiner Schwestern gerade steckt. Was kann ich für Euch tun? Es geht doch nicht
immer noch um diese Federn-Geschichte?"
Während des Krieges
zwischen den beiden Gruppen war es der Splittergruppe der Tri’Shena gelungen
einige Pyrana zu fangen. In der Gefangenschaft hatten die Tri’Shena, unter
Creides Führung, den Pyranajägerinnen ihren Federschmuck abgenommen, welcher zu
den wichtigsten Dingen zählte die eine Pyrana überhaupt besaß. Der Federschmuck
zeigte ihre Zugehörigkeit zu ihrer Gruppe an. Vielen Pyrana konnte man eher
alle Knochen im Leib brechen als ihnen ihre Federn ab zu nehmen. Wer Hand an
den Federschmuck einer Pyrana legte, der hatte im Regelfall, einen Feind für’s
Leben.
„Du kennst dich doch
ganz gut mit Kräutern aus, Creide.“ Begann Cori ihre Motive zu erklären.
Creide nickte „Ja ich
habe einiges an Kräutern und Heilprflanzen hier.“
„Hast Du auch eine
Pfanze die lange sternförmige Blüten hat?“ fragte Cori während der Tosplitpaga
die Runde machte. Cori gab Lara ein Zeichen: „Zeig ihr den Stein, Lara.“
Lara griff in ihren
Beutel, holte den Stein vervor und wickelte ihn vorsichtig aus seinem Tuch
bevor sie ihn vor sich auf den Boden legte: „Hast Du so eine Pflanze schon
gesehen?“
Die Schamanin
betrachtete den Stein gründlich: „Hmmm, so eine braucht ihr?“
„Nun erst mal müssen
wir wissen was das für eine Pflanze ist. Wozu sie gut ist und wo man sie
findet.“ Gab Cori zu bedenken.
„Das da, liebe
Pyranas, ist wahrscheinlich eine Luminus Ephorbiacea.“
„Efeubi…was?“
„Was kann denn dieses
Dreckszeug.“ Warf Okami ein. Sie hatte lange bei den Piraten gelebt und noch
immer war die derbe Ausdrucksweise der Freibeuter nicht aus ihrem Wortschatz
gewichen.
„Also das Ding
leuchtet?“ sagte Cori fast etwas enttäuscht.
„Ja. Wenn es dunkel
wird, leuchtet sie.“
„Ist das alles?“
wollte Cori wissen, sie war wirklich enttäuscht.
„Betört es die Sinne?“
fragte Lara um wenigstens eine aus ihrer Sicht sinnvolle Verwendung für Pflanze
zu finden.
„Oder kann man Pfeile
damit vergiften?“ auch Okami suchte nach einem praktischen Anwendungsgebiet.
„Wenn ihr so eine
Pflanze sucht, dann müsst ihr weit in den Norden reisen. Dort hin wo die
Menschen fremde Götter verehren und der ewige Schnee liegt“ Creide ließ sich
von den stürmischen Fragen der Pyrana nicht aus der Ruhe bringen.
Cori wollte par tout
nicht akzeptieren, dass ihr geheimnisvolles Fossil lediglich eine Leuchtblume
war. Schön anzusehen aber ohne praktischen Nutzen: „Kann diese Pflanze denn
noch irgendwas anderes außer Leuchten?“
„Nun ich sage es mal
so. Sie hat schon die ein oder andere besondere Eigenschaft.“
„Welche?“
„Nun wenn man die
Blüten isst sind sie giftig. Wenn man es schafft Nektar der Luminus Ephorbiacea
zu gewinnen und damit einen Pfeil bestreicht, dann tötet der Pfeil einen Mann
in zwei Atemzügen. Die Wurzeln allerdings sollen eine besondere Heilwirkung haben,
wenn man sie zerreibt.“
Cori hörte aufmerksam
zu und hinter ihrer Stirn überlegte sie bereits ob die Kräfte dieser Pflanze
eine so lange und gefährliche Reise rechtfertigen würden.
„Aber sie ist nicht
leicht zu finden“, fuhr Creide fort, „meist wächst sie an Höhleeingängen und in
der Nähe von Kur-Dung. Keine Ahnung warum aber sie scheinen den Dung zu mögen.“
„Wie bitte? Du nimmst
uns doch auf den Arm oder?“ insistierte Cori.
„Nein. Ich sagte ja,
sie ist nicht leicht zu finden.“
„Glaubst Du man kann
sie hier anzüchten?“ bohrte Cori weiter.
„Wenn Du einige Samen
und etwas Kur-Dung mitbringst, und sie an eurer Höhleneingang aussähst, dann
ja.“
„Wir sollen im
Kur-Dung wühlen?“ fragte Lara entsetzt.
„Ihhh!“ empörte sich
Moira.
Cori überlegte. Ein
Gift zu haben, dass Feinde binnen weniger Augenblicke töten könnte, wäre eine
starke Waffe in diesem Teil von Gor.
„Für was braucht ihr
die Pflanze denn?“ wollte nun Creide wissen.
„Naja, wenn Du sagst
die Blätter töten und die Wurzeln heilen, dann sollte es schon was wert sein,
diese Pflanze zu besitzen. Es könnte die Machtverhältnisse in der ganzen Region
hier, zu Gunsten der Jägerinnen verschieben.“, überlegte Cori.
„Nun aus reiner
Machtgier, würde ich sie nicht holen, Cori. Sie wächst nicht so sehr leicht und das Leuchten erregt sicher die Aufmerksamkeit vieler ungebetener Besucher.
„Das mag sein, aber
allein sie zu verkaufen könnte sicher sehr lukrativ sein. Zumal die Wissenden
der Nordmänner offenbar noch keine Ahnung haben was da bei ihnen wächst, sonst
würden sie sich die Pflanze ja zu Nutze machen.“, argumentierte Cori.
Creide führte weiter
aus: "Mein Vater, Jarl Longgrien, sagte mal das sich ganze Stämme wegen
dieser Pflanze schon blutig dezimiert haben. Sie ist schließlich auch für
Assassinen sehr interessant um politische Dinge zu ändern. Die Mäuchelmörder
achten gut darauf wem die Pflanze in die Hände fällt und auch die Nordleute
legen sich nicht mit der schwarzen Kaste des Südens an."
Cori dachte nach. Sie
wussten jetzt von der Macht dieser Pflanze. Sie in die Hände zu bekommen könnte
die Pyrana ein für alle Mal zu einer ernstzunehmenden und geachteten Größe in
dieser Region machen. Sich mit der schwarzen Kaste an zu legen, war allerdings
auch ein gewaltiger Preis der zu zahlen sein würde. Dagegen erschien die Reise
in den Norden fast wie ein Spaziergang.
(...und es geht weiter!)
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