Mittwoch, 12. September 2012

Wir - Die Folterknechte an unseren Kindern und uns selbst?

Gerade habe ich einen Artikel meines Lieblingspsychiaters gelesen wo es um die Funktion des Frontalhirns geht und darum in wie weit diese Funktionen durch äußere Einflüsse verändert werden.

Für die die sich eher mit anderen Dingen als Neuroanatomie beschäftigen: Unser Gehrin kann in verschieden Bereiche eingeteilt werden. Zum einen nach ihrer anatomischen Lage, kann man ein Stammhirn, einen Seitenlapen, einen Hinterhaupslappen, ein Kleinhirn, ein Zwischenhirn und einen Stirnlappen unterscheiden. Außerdem nehmen die unterschiedlichen Bereichen des Gehirns auch unterschiedliche Aufgaben wahr, so liegt zum Beispiel der Teil der für das Sehen zuständig ist im Hinterhauptslappen, oder die Atmungsfunktion wird aus dem Stammhirn gesteuert.   
Die Stirnlappen und einige anderen Strukturen die mit den Stirnlappen eng verbunden sind (z.B. dem Thalamus) nennt man in ihrer Gesamtheit das Frontalhirn.

Im Frontalhirn, welches eine der jüngsten Errungenschaften unserer Entwicklungsgeschichte ist sind Funktionen wie vorausschauendes Denken, Planen, Problemlösung, Kreativität, der Gebrauch von Strategien, Entscheidungsfindung, das Verarbeiten von Rückmeldungen aus der Umwelt, Impulskontrolle, moralisches Denken, religiöse Gefühle, Humor, Scham, Bewusstsein oder die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen vorbehalten.

Mein Lieblingspsychiater zitiert in seinem Artikel nun zwei Studien: Bei einer der Studien wurden Richter untersucht die entscheiden mussten ob ein Häftling vorzeitig aus der Haft entlassen wird. Die Richter hatten pro Tag etwa 30 bis 40 Fälle zu bearbeiten. Es zeigte sich, dass die Juristen direkt nach dem Arbeitsbeginn, nach der Frühstückspause (10.00-10.30) und nach der Mittagspause jeweils rund 65% ihrer bearbeiteten Fälle positiv für den Fäftling bewerteten und ihn früher entließen. Diese Quote fiel aber im Laufe der Arbeitssitzung immer weiter ab und am Ende einer Sitzung wurden kaum noch Fälle positiv bewertet.

Fazit: Von einem satten Richter mit ausgeglichenem Blutzuckerspigel ist mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit ein positives Urteil zu erwarten als von einem hunrigen, erschöpften.

Eine zweite vorgestellte Studie beschreibt, dass Kinder unterschiedlich konzentrationsfähig sind, je nach dem was sie vorher gemacht haben. So konnten Kinder die einen Zeichentrickfilm mit schnell wechselnder Szenenfolge deutlich schlechter, reflexartiges Handeln unterdrücken, nach einem Plan Bauklötze umschichten oder rückwärts Zahlen aufsagen, als Kinder die einen Lehrfilm gesehen hatten. Die beste Leistungsfähigkeit hatten die Kinder denen man vor dem Test 9 Minuten gezeichnet hatten.   
Fazit: "Tom und Jerry" bremsen die Funktionen unseres Frontalhirns nahezu vollständig aus, während das eigenständig kreative Zeichnen diese Funktionen sogar unterstützt.

Bei einer dritten dargelegten Studie waren Erneut Kinder im Zusammenhang mit ihrem TV-Konsumverhalten untersucht worden. Durchschnittlich gaben die Eltern an dass ihre Kinder reichlich eine Stunde am Tag fernsehen würden. Kinder mit höherem Konsum (bis 5 Stunden und mehr) fielen in der Untersuchung häufig durch deutliche Verhaltensstörungen auf. Die Aufgabe bestand nun darin das die Kinder einfach einen Menschen aufmalen sollten. Je geringer der Fernsehkonsum war um so besser und detailreicher waren die Zeichnungen. Je höher die Fernsehzeiten um so weniger stimmten die Proportionen oder es wurden Körperteile wie Haare, Mund, Nase, Finger, Füße oder Bekleidung vergessen.

Fazit: Ab mehr as 60 Minuten Fernsehen pro Tag sinkt die Fähigkeit zur bewussten Wahrnehmung seiner Umwelt bereits deutlich, bei mehr als 90 Minuten TV sogar dramatisch!  

Insgesamt kommt der Autor des Artikels zu dem Schluss: „Wer das Frühstück durch Fernsehen ersetzt und dann zur Schule geht, der verhält sich etwa so, wie derjenige, der sich vor einem Wettlauf ins rechte und linke Knie schießt.“.

Der Autor (den ich für seinen teilweise etwas missionarisch anmutenden Stil sehr schätze) ergibt sich daraus folgende Konsequenz: Die aktuellen Debatten über Lehrpläne, Schulsystemreformen, Klassengrößen und Frühförderung würden sich wahrscheinlich gar nicht erst stellen wenn alle Eltern dafür sorgen würden, dass ihr Kind erstens weniger Fernsieht, vor der Schule gar nicht in die Flimmerkiste guckt und dass es ausreichend mit ausgewogener Nahrung versorgt wird.

Für mich als tägliche Online-Userin stellt sich folgende Befürchtung: Wenn Fernsehen so schädlich ist, wie ist es dann mit einem Medium indem nicht nur ein Kanal sondern gleich mehrere auf mich einprasseln: Da haben wir den offenen Chat bei uns im Lager, den Gruppenchannel, die GaD-Gruppe die immer wieder auf geht und zwischen einem und fünf IM-Partner wo ich mich auf einen Gesprächsverlauf konzentrieren muss, außerdem höre ich noch gelegentlich parallel Musik die ebenfalls einen Zipfel meines Bewusstseins in Beschlag nimmt. Ich habe gehört dass andere nebenbei noch ein anderes Computerspiel spielen, Emails schreiben oder Blogeinträge lesen.

Tatsache ist dass die Frequenz der „Szenewechsel“ also der Reize unglaublich hoch ist. Könnte es nicht sein, dass genau dieser Umstand dazu führt dass wir so viele Leute hier auf Gor haben die beim kleinsten Hauch von Kritik an die Decke gehen und sofort mit Bann, Mut und Zivilklage drohen oder beleidigend und ausfällig werden? Immerhin ist die Annahme von Kritik und die Kontrolle des Reaktionsimpulses eine Leistung die das Frontalhirn erbringt.

Wenn ich nun an jemanden gerate der seit acht Stunden zwischen Skype, iPod, Kinostream, Gor, drei Blogs und fünf IMs hin und her springt – muss ich mich dann wundern wenn der maximal überspannt ist, keinen Funken Humor mehr versteht und sich gerade mal so noch auf seine eigenen Bedürfnisse konzentrieren kann, wenn überhaupt? Natürlich geht der ab wie ein Colibrie auf Speed wenn bei dem was nicht so läuft wie er es gerne hätte!  

Ich jedenfalls werde jetzt bevor ich mich an den Rechner setze erstmal mein Abendbrot essen und ich werde stets nur ein Windows-Fenster gleichzeitig offen haben.

In diesem Sinne

Eure
Cori

P.S.: Der Artikel erschien unter dem Titel "Frontalhirn und Fernsehn, Richter und Zucker" in der Ausgabe 9/2012 der Zeitschrift "Nervenheilkunde" und wurde von Prof. Dr. Dr. M. Spitzer geschrieben.

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