Gestern war es soweit. Meine niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen haben sich gestern in einer Urabstimmung für einen Arbeitsniederlegung ausgesprochen. Die Öffentlichkeit wird wahrscheinlich empört reagieren.
Die Forderungen sind eigentlich ganz einfach: Die Krankenkassen, das wurde unlängst Bekannt haben in den Vergangenen Jahren so einen großen Überschuss erwirtschaftet dass man nun diskutiert die Praxisgebühr wieder abzuschaffen oder die Überschüsse Anteilig an die Versicherten zurück zu erstatten.
Insgesamt sollen die gesetzlichen Krankenkassen ein Finanzpolster von rund 19,5 Milliarden Euro angesammelt haben (Quelle: Focus Online). Laut der Süddeutschen Zeitung erwirtschafteten nur die gesetzlichen Krankenkassen einen Überschuss von 4 Milliarden Euro im Jahr 2011.
Die niedergelassenen Ärzte (also die Ärzte die in einer Praxis und nicht in einem Krankenhaus arbeiten) fordern nun dass das Budget dass zur Ausschüttung ihrer Honorare bereitgestellt wird um 3,5 Milliarden angehoben wird.
Die Ärzte sagen, dass diese gewaltigen Überschüsse vor allem daraus resultieren würden, dass es bei den Medizinern seit 2008 keinen Honoraranpassungen mehr gegeben hat. Da bedeutet, dass die Ärzteschaft seit einem halben Jahrzehnt einen „Nullrunde“ nach der anderen kassiert.
Schaut man auf die tatsächlichen Honorare eines Praxisarztes dann ist man geneigt mit einem kopfschütteln zu sagen: „Die jammern doch auf hohem Niveau“. Doch nach einer Quelle der Münsterischen Zeitung beträgt das monatliche Nettoeinkommen eines Kassenarztes nach den jüngsten Zahlen im Schnitt insgesamt 5442 Euro. Einem Allgemeinmediziner blieben demnach im Schnitt 5018 Euro pro Monat, einem Orthopäden 6344 Euro und einem Psychotherapeuten dagegen nur 2658 Euro.
Diese Zahlen sind allerdings mit äußerster Vorsicht zu genießen, denn die Höhe eines Arzt-Einkommens hängt nicht nur von seiner Fachrichtung ab, sondern auch in hohem Maße von seiner Patientenklientel. Da bei Privatpatienten ein erhöhter Satz berechnet werden darf verdienen Mediziner mit vielen Privatpatienten deutlich mehr als Ärzte die ausschließlich gesetzlich versicherte Patienten versorgen.
Das schlimme hierbei ist, dass die Studienlage eindeutig belegt dass in sozial schwachen Regionen deutlich kränkere Menschen leben. Das bedeutet die Ärzte die mit dem größten Leid konfrontiert sind bekommen vorwiegend Kassenpatienten und damit auch weniger Geld.
Ihre Forderung, Maßgeblich am Überschuss der Krankenkassen zu partizipieren ist aus meiner Sicht absolut gerechtfertigt.
Nur wenn wir unsere „Hausärzte“ anständig bezahlen können wir gerade in ländlichen Regionen und Brennpunktbezirken noch eine hinreichende medizinische Versorgung erwarten.
Das größte Problem scheint mir aber zu sein, dass innerhalb der kassenärztlichen Vereinigungen zu ungerecht verteilt wird. Hier teilen die Kollegen in Eigenregie fest wer wie viel für was bekommt. Wenn dort in einem Jahr drei Nierenspezialisten sitzen, dann bekommen in dieser Legislaturperiode eben die Nephrologen das meiste.
Zum anderen belastet aber ein ganz anderer Punkt das Klima zwischen Ärzten und Krankenkassen ganz immens! Nämlich der das die Ärzte (auch die Krankenhausärzte) sich zunehmend als Spielball der Krankenkassen und der Politik sehen und dass obwohl unser Beruf doch eigentlich laut Gesetz ein „freier“ Beruf sein soll.
Und so prallen bei uns Ärzten diverse Interessen aufeinander: Vor allem die Interessen der Patienten die von uns erwarten dass unsere Kliniken und Praxen sieben Tage die Woche und am Besten rund um die Uhr offen sind. Zumindest erwartet man als Beitragszahler dass man immer mit einem Arzt oder einer Ärztin sprechen kann wenn man beschwerden hat. Dafür zahlt man ja seinen Beitrag!
Die Folge für uns Ärzte sind tagelange Bereistchfatsdienste. In meinem Haus ist die längste Bereitschaftsdienstzeit 24h. Wenn man Glück hat ist es ruhig, wenn man Pech hat läuft die Rettungsstelle voll. Mein persönlicher Rekord liegt bei 23 Aufnahmen in einem Dienst.
Für eine gründliche ärztliche Untersuchung (auf die der Patient übrigens ein verbrieftes Recht hat) benötigt man je nach Berufserfahrung, Komplexität des Krankheitsbildes und Kooperationsbereitschaft des Patienten etwa eine Stunde. Alles was unter zwanzig Minuten beim Erstkontakt liegt, kann aus meiner Sicht nicht mehr „gründlich“ genannt werden.
Man muss zunächst die Anamnese erheben. Hier rücken Patienten meist erst sehr spät mit den wirklichen Kernsymptomen heraus, insbesondere dann wenn es sich um psychiatrische Beschwerdebilder handelt. Danach muss man den Patienten klinisch untersuchen. Ihn abhören, die Refelxe durchklopfen, in Mund, Augen und Ohren gucken und so weiter. Alleine eine vollständige Neurologische Untersuchung dauert zwischen 30 und 60 Minuten. Und dann kommt die Diagnostik, also Blutuntersuchungen und die andere Apparatemedizin.
An dieser Stelle muss der Arzt im Dienst nur aus seinem ärztlichen Wissen heraus entscheiden was ein Patient braucht und ihm zureden wenn er das nicht will (EEG, Röntgen, ENG, Szintigraphie). Er muss entscheiden was der Patient vielleicht will (MRT, EKG) aber nicht braucht und ihm auch das klar machen. Der Arzt muss auch entscheiden welches Medikament oder welches Behandlungsverfahren er anwendet.
Dies alles ist laut Gesetzgeber seine freie Entscheidung! Nur gnade Gott, dass wir einen Patienten einen Tag zu lange zur Beobachtung im Krankenhaus behalten haben! Oder auch wenn wir ein Medikament verordnen was es als Generikum schon irgendwo ein paar Cent billiger gibt. In diesem Fall müssen wir meist sehr langwierige Begründungen schreiben warum diese oder jene Maßnahme einfach nötig war. Ansonsten werden wir von der Krankenkasse verklagt.
Wir werden aber auch verklagt wenn wir Symptom zum Beispiel erstmal beobachten wollen, den Patienten nach Hause schicken, er kommt nicht zur Nachuntersuchung und nach einem halben Jahr stellt sich raus es war ein Magenkrebs. Dann sagt der Patient zu mir: Frau Doktor, dass hätten sie erkennen müssen! Wenn ich jetzt sterbe haben Sie mich auf dem Gewissen! Und dafür verklage ich sie.
Kurz um: Wir die wir als behandelnde Ärzte und auch Notärzte in der vordersten Linie der Krankenversorgung stehen müssen häufig schnell und sicher entscheiden wofür wir das Geld der Krankenkassen ausgeben. Wenn dann alles vorbei ist, kommt der Medizinische Dienst der Krankenkassen in Person eines ausgeruhten „Arztes im Schreibtischdienst“ und legt seinen Finger besserwisserisch auf jeden Laborwert, jeden Tag Verweildauer und gibt uns vor wie viel Zeit wir für welchen Patienten und welche Untersuchung aufwenden dürfen! Wer das nicht einhält wird bestraft und in Regress genommen. Wer es schafft sich an diese Vorgaben zu halten wird mit seinem vollen Honorar belohnt.
Ich habe in meinem Krankenhaus einen Arbeitsvertrag über 40 Stunden in der Woche. Faktisch bin ich, sofern man die Bereitschaftsdienste und Überstunden dazuzählt, und Bereitschaftsdienste haben die Hausärzte ja auch, komme ich meistens auf 50 bis 60 Stunden, manchmal sogar 70 Stunden.
Und gerade für die Kollegen, die in sozialen Brennpunkten arbeiten, Tag und Nacht gewissenhaft ihre Patientenversorgen die so viel arbeiten dass sie 1,5 Stelle besetzen könnten, die dauernd mit dem einen oder dem anderen Bein im Gefängnis sitzen und die trotzdem nicht nach Norwegen, Schweden oder in die Schweiz gehen, für die Ärzte und Ärztinnen erst eine der längsten Ausbildungen hinter sich gebracht haben die unser Bildungssystem kennt, die hinterher noch mal mehrere Jahre Spezialisierung durchlaufen haben und die jetzt als „Unternehmer“ in ihrer Praxis sitzen, für diese Kollegen ist der Streik.
Ich als Krankenhausärztin werde nicht streiken. Ich habe auch vor einigen Jahren nicht mit gestreikt als der Marburger Bund sich für die Klinikärzte stark machte. Anders als Flugbegleiter, Lokführer und Müllmänner, haben wir nämlich immer noch die Patienten zu versorgen. Patienten die voller Vertrauen und Erwartungen und Hoffnungen zu uns kommen. Über die Patienten werden die Ärzte immer erpressbar sein.
Letztlich sind die Ärzte in die Fußsoldaten des Gesundheitswesens. Die Krankenkassen haben sich schon lange zu unseren Befehlshabern gemacht. Doch jeder Soldat der gut kämpfen soll muss auch einen guten Sold bekommen, sonst desertiert er. Wenn also so ein großer Überschuss da ist, dann haben ihn die Ärzte und Ärztinnen, die Pfleger und Schwestern und die Laborassistenten und Physiotherapeuten und Ergotherapeuten und die vielen Arzthelfer erwirtschaftet.
Zugegeben: Wir hätten das wahrscheinlich nicht geschafft, wenn der MDK uns nicht immer wieder dazu anhalten würde uns jeden Schritt genau zu überlegen und genau abzuwägen ob der Aufwand einer Untersuchung den Nutzen auch wirklich rechtfertigt, doch wie im Rotlichtmileu ist es nicht der Zuhälter der das ekelhafte Seite des Geschäfts über sich ergehen lassen muss, es ist die Prostituierte die auf der Straße steht. Die praktisch tätigen Ärzte sind die zentralen Glieder in der Gesundheitskette und nicht der Prüferart der Krankenkasse!
Aus diesem Grund, werde ich mich an dem Streik nicht beteiligen, ich bin nicht niedergelassen, aber ich freue mich, dass die Kollegen den Mut gefunden haben und werde gerne den erhöhten „Ansturm“ auf meine Notaufnahme in Kauf nehmen.
Eure
Cori
6 Kommentare:
die sollen eh erstmal die Hebammen vernünftig bezahlen bevor sie bei den Ärzten anfangen... Die Hebammen hatten mehr Nullrunden und deutlich weniger Lohn. :)
die sollen eh erstmal die Pflegedienste vernünftig bezahlen bevor sie bei den Ärzten anfangen... Der pflegerische Bereich hat mehr Nullrunden und weit aus weniger Anerkennung und damit deutlich weniger Lohn, das zu Unrecht :)
Kho
Nach dem offiziellen Bericht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sind die durchschnittlichen Honorarumsätze je Arzt im ersten Halbjahr 2011 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2010 um 3,0% gestiegen.
Mir kommen daher ob der ach so notleidenden Ärzteschaft, die nun protestiert, dicke Krokodilstränen.
Letztlich ist es so: Die Kassen sitzen auf einem großen Haufen Geld das in diesem ganzen Gesundheitssystem am allerwenigsten ihnen gehört. Das natürlich auch die Pflegekräfte, die Physiotherapeuten und Praxishelfer viel, viel miterwirtschaftete haben und dass hier auch dringend Nachbesserungsbedarf besteht was die Vergütung für ihre Arbeit angeht steht völlig außer Frage.
Trotzdem liegt die durchschnittliche Arbeitszeit eines Arztes 58 Wochenstunden dem gegenüber stehen etwa 40 Wochenstunden eines Durchschnittsarbeitnehmers, aus dem diesem, laut statistischem Bundesamt, eine monatliches Brutoeinkommen von 3395 € erwächst. Bei festen Arbeitszeiten, freien Wochenenden und ungestörter Nachtruhe.
Dem Facharztarzt erwächst nach rund zehnjähriger Ausbildung (Studium 6 Jahre + Weiterbildung), nach Abzug seiner Tilgungskredite die er braucht um seinen Praxis abzubezahlen, bei etwa 50% längerer Wochenarbeitszeit ein vergleichbares Einkommen von 4535 €. Und anders als Pflegekräfte muss der Arzt über jeden Handlung Rechenschaft ablegen können. Wenn ein Patient nach einer falschen Behandlung einen Schaden davon trägt wird sich so gut wie nie die Krankenschwester verantworten müssen sondern stets der Arzt.
Dies alles sind wohlgemerkt Durchschnittswerte. Wir wissen auch das Internisten, Radiologen und Augenärzte die Gehaltslisten anführen, während Allgemeinärzte und Neurologen eher ds Schlusslicht dieser Kette bilden.
Das eigentliche Problem aber ist, dass sie die Ärzteschaft vorwiegend von den medizinischen Diensten der Krankenkassen in zunehmendem Maße bevormundet fühlt. Kaum ein Lehrer muss damit rechnen dass der Elternvertreter jeden zweiten Tag in seinen Unterricht kommt und nachguckt ob der Lehrer auch alle pädagogisch vorgegebenen Methoden im richtigen Maße anwendet.
Natürlich ist das Problem auch durch die Zusammenstellung der Kassenärztlichen Vereinigungen irgendwo zu einem Teil hausgemacht von der Ärzteschaft. Es ändert aber nichts daran dass es offenbar Ärzte gibt die bei 1,5mal höherem Arbeitsaufwand, selbst getragenem unternehmerischem Risiko, 2,5mal längerer Ausbildungszeit ein Gehalt bekommen dass gerade mal rund 30 Prozent über dem des Durchschnittsverdieners liegt.
Entweder den Deutschen ist ihre Gesundheit etwas wert, dann sollten sie sich angewöhnen dafür auch wirklich Geld zu bezahlen, oder man muss sich eben mehr Ärzte aus Kasachstan, Polen, Spanien oder Griechenland holen, da die ganzen deutschen Ärzte nach England, Schweden oder in die USA ausgewandert sind.
Ja, die Kassen mögen seit langem mal auf einem Haufen Geld hocken, nur lange Zeit war das anders - wäre doch mal schön, sie würden daraus ein wenig Rücklagen für schlechtere Zeiten bilden, nicht wahr, ihre Leistungen verbessern oder beides. Aber klar, wo auch nur ein wenig mal etwas Geld da ist in diesem Lande, da kommen sofort all diejenigen aus ihren Löchern gekrochen, die davon unbedingt etwas ab haben wollen. Gut, machen wir mal vernünftige Entlohnung des Pflegepersonals, mehr Pfleger wieder - und dann schauen wir mal weiter!
"Entweder den Deutschen ist ihre Gesundheit etwas wert, dann sollten sie sich angewöhnen dafür auch wirklich Geld zu bezahlen, "
Dieser Satz ist nun wirklich ein Hohn ohnegleichen. Es gibt kaum ein so sauteures Gesundheitswesen auf der Welt wie unseres, das dabei so wenig Qualität leistet! Andere Länder haben günstiger finanzierte Gesundheitswesen, die dazu mehr Qualität leisten!
Woher kommt es denn, dass die Ärzte sich bevormundet fühlen? Weil sie früher häufig viel zu teuer gearbeitet haben, und irgendwann die Kassen die Reißleine zogen! Da wurde in Serie viel zu viel operiert, Katheder gelegt, zu teure nutzlose Medikamente verschrieben, und und und...
Das gesamte deutsche Gesundheitswesen ist inzwischen ein so übel riechender Sumpf, dass da eigentlich nur noch eines hilft: komplett in die Tonne treten und durch ein neues System ersetzen. Nur hat das bisher kein Gesundheitsminister gewagt, sich wirklich gegen die Lobby der Pharmaindustrie und Ärzte aufzulehnen.
Also doktert man immer ein wenig rum, dass es gerade so weiter läuft bis zur nächsten Kostenexplosion.
Normalerweise wartet man anstandshalber, bevor man in Protest geht, zumindest das Ende der Verhandlungen ab. Das haben die Ärzte nicht getan. Ich habe mit ihnen keinerlei Mitleid.
aye, no pity
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